Die Latinos Asiens nennen sich die Philippiner zuweilen selbstironisch – und tatsächlich ist das Lebensgefühl in dem Inselstaat eher lateinamerikanisch. Hier leben überwiegend Katholiken und für die ist das Weihnachtsfest von ganz großer Bedeutung.
Zur sogenannten „misa de gallo“ kommen tausende Gläubige in die Kirche. © NDR Foto: Holger Senzel
Manila, Philippinen – Nicht alle Gläubigen haben einen Sitzplatz gefunden in der Redemptory-Kirche in Cebu, an die Tausend mögen es sein, die inbrünstig singen und beten. Kinder gähnen – es ist fünf Uhr morgens. Lichterketten blinken in blau, gelb, grün und rot, der Altar überladen mit den sogenannten paroles – den traditionellen Weihnachtslaternen, das weiße Gewand des Priesters weht im Wind der Ventilatoren, die Kerzen flackern.
Weihnachten beginnt bereits am 16. Dezember
Vor langer Zeit sollten diese Frühmessen es den Bauern ermöglichen, noch vor der Feldarbeit die Jungfrau Maria zu ehren. Misa de gallo – so heißen sie auf spanisch, oder Simbang-Gabi auf Tagalog – sie beginnen immer am 16. Dezember. Und wer alle neun Frühmessen besucht, so besagt es der Glaube – dessen Gebete und Wünsche gehen in Erfüllung: „Ich besuche misa de galio seit meiner Kindhheit, alle neun Frühmessen – das bedeutet mir sehr, sehr viel. Ich habe das als Single mit meinen Eltern und Geschwistern getan, ich tue es jetzt mit meiner eigenen Familie. Und auch meine verheirateten Geschwister, die weit weg wohnen, tun es. Und wenn wir frühmorgens aufstehen für die Messe, wissen wir, dass wir alle das gleiche tun, egal wo wir leben, alle auf dem Weg sind zur misa de gallo.“
Katholische Kirche als Kitt der Gesellschaft
Die Philippiner sind fanatische Katholiken. Für sie ist die Kirche auch ein Zufluchtsort. © NDR Foto: Holger Senzel
Die Latinos Asiens nennen sich die Philippiner zuweilen selbstironisch – und tatsächlich ist das Lebensgefühl in dem Inselstaat eher lateinamerikanisch. 400 Jahre spanische Besatzung haben das Land geprägt. Ob Katholizismus oder überschäumende Lebensfreude, auch die Sprache Tagalok erinnert an spanisch. „Weihnachten ist Familie – und zur Messe zu gehen wie Erntedank“, sagt ein Mann. Und die Politologin Kara Alikpala ergänzt: „Die Filippinos sind wirklich fanatische Katholiken. Trotz der Armut rundherum in diesem Lande glauben sie daran, dass ihre Gebete wirken. Wir sind immerhin eine katholische Nation, in der es keine Scheidung gibt – so hartgesotten sind wir hier. Katholische Kirche ist der Kitt unserer Gesellschaft.“
Weihnachtsbeleuchtung überall
Ob beim Picknick der jungen Leute im Park, in den Einkaufstraßen und Shopping Malls der Städte oder in der heiligen katholischen Messe – überall ist Weihnachten auf den vorwiegend katholischen Philippinen, und das schon seit September. Dann geht es in dem Land mit der längsten Weihnachtssaison der Welt los mit dem Straßenschmuck – wobei „Weihnachtsbeleuchtung“ eine maßlose Untertreibung ist für die Lightshows in den Städten: Lichtfinger wachsen in Glassäulen aus dem Boden; Laser malen farbenprächtige Gemälde in den Himmel. Maria, Josef und die Krippe mit dem Jesuskind an jeder Straßenkreuzung. Keine Palme ohne Lichterkette und Weihnachtsstern.
Laser, Lichter und Weihnachtsbeleuchtung findet man überall in den Städten. © NDR Foto: Holger Senzel
Aber das ist nur die eine Seite der philippinischen Weihnacht, erklärt Kara Alikpala. „Es geht sehr tief. Da passiert eine spirituelle Verwandlung. Auch wenn es nach außen vor allem laut und schrill wirkt und schreiend bunt. Aber da passiert ganz viel in deiner Seele – und du machst Dir Gedanken, wie Du Gutes tun und dienen kannst, Liebe geben kannst. Weihnachten ist die Zeit, in der du dich zurücklehnst, kürzer trittst, besinnlicher wirst, nachdenkst über das zu Ende gehende Jahr, wie Du ein besserer Mensch werden kannst. Die Menschen sind freundlicher zueinander in der Weihnachtszeit. Und die Familie ist das Herz, gerade in einem Land, wo die Familien oft über die ganze Welt verteilt sind.
Präsident Duterte als Gegner der katholischen Kirche
Die katholische Kirche auf den Philippinen ist eine Macht, gegen die auch der Präsident nicht ankommt. Und deshalb – ist Kara Alicpala überzeugt – hasst Rodrigo Duterte die katholische Kirche. Dass die Gläubigen ihm seine Beleidigungen durchgehen lassen, liege wohl daran, dass sie ihn amüsant fänden. Und eben überzeugt seien, dass die Philippinen einen starken Mann mit eisernem Besen bräuchten, glaubt Kara Alicpala. Doch mehr und mehr sehe die Kirche in Präsident Duterte ihren Gegner und positioniere sich immer offener gegen seinen blutigen Anti-Drogen-Krieg – selbst in der Weihnachtszeit.
Hat sich der Rechtsstaat verabschiedet?
Die katholische Kirche auf den Philippinen wäre gern noch politischer. © NDR Foto: Holger Senzel
„Die katholische Kirche ist eindeutig politischer geworden seit den Zeiten des Diktator Ferdinand Marcos. Und sie ist definitiv wütend auf Duterte. Er hat die Kirche beleidigt. In der Frühmesse hat sich der Erzbischof von Manila sehr eindeutig über die politische Lage geäußert. Hat niemanden beim Namen genannt, aber es war klar, wen er meinte. Er sprach über Lügen, Korruption, über die Beugung des Rechtes. Das waren wirklich starke Worte“.
20.000 Menschenleben hat der Anti-Drogenkrieg auf den Philippinen bislang gekostet – 5.000 erschossen von der Polizei in angeblicher Notwehr, häufig in den Rücken. Dutertes schärfste Kritikerin Leila de Lima sitzt wegen einer fabrizierten Drogenanklage im Gefängnis und fürchtet um ihr Leben, als Rechtsstaat haben sich die Philippinen verabschiedet, sagen Menschenrechtsorganisationen. Müsste da die Kirche nicht noch lauter ihre Stimme erheben: „Die katholische Kirche auf den Philippinen wäre gern noch politischer – aber Rom will das nicht. Aber für viele Philippiner – ob gläubig oder nicht – ist die Kirche in diesen Zeiten ein Fluchtpunkt. Ich meine, sie sind die größte Nichtregierungsorganisation, sie haben eine Menge Ressourcen. Sie tun die Dinge still, um nicht zu eskalieren – aber tun eine Menge. Sie informieren etwa über Bürgerrechte in den Gemeinden, also wie die Leute sich verhalten sollen, wenn die Polizei zu ihnen kommt. Sie dokumentiert auch viele Fälle von außergerichtlichen Tötungen durch die Polizei“.
Aber jetzt wird Politik mehr und mehr zum Rand-Thema auf den Philippinen. Der Countdown läuft für den heiligen Abend. Von überall her reisen die Menschen zu ihren Familien. Ein Fest der Wiedervereinigung mit Nachbarn und Freunden, Gottesdienst, Geschenken und ganz viel Essen. Fleisch vor allem, Unmengen Schweinefleisch – die traditionelle philippinische Küche ist nichts für Vegetarier.
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