Alles anzeigenDer philippinische Präsident Duterte hat Polizisten im Anti-Drogenkampf Straffreiheit versprochen – auch wenn sie töten. Nun sind drei Beamte wegen Mordes verurteilt worden. Eine Kehrtwende?
Manila, Philippinen – Rodrigo Duterte hat ein eigenwilliges Verhältnis zum Rechtssystem. Zwar ist er selbst Jurist, arbeitete einst als Staatsanwalt. Heute, als Präsident der Philippinen, setzt er sich hingegen über Gesetze hinweg. Zum Beispiel als er Polizisten versprach, sie würden rechtlich nicht belangt, wenn in seinem Anti-Drogenkrieg Verdächtige bei Polizeieinsätzen getötet würden – schließlich hätten die Beamten nur ihre Arbeit gemacht.
Tausende mutmaßliche Drogenkriminelle kamen bei den Einsätzen seit Juni 2016 ums Leben. Fast immer sollen sich die Getöteten gegen die Polizeiaktion gewehrt und selbst geschossen haben. Zum Beweis liegen neben vielen Leichen noch die Pistolen oder Drogenpäckchen. Kein Polizist musste sich hinterher einer Mordanklage stellen.
Dann kam der Fall Kian delos Santos. Der 17-jährige Schüler wurde von drei Polizisten in einer dunklen Gasse mit drei Schüssen hingerichtet. Angeblich soll auch er sich widersetzt und auf Beamte geschossen haben. Eine Lüge, wie Videoaufnahmen und die Autopsie zeigten (mehr zu den Hintergründen erfahren Sie hier). Der Fall sorgte erstmals zu Protesten gegen den Anti-Drogenkampf des Präsidenten, den weite Teile der Bevölkerung trotz allem bis heute unterstützen.
Die Ermordung des Schülers zwang aber auch Duterte zum Einlenken: Er traf sich mit den Eltern des Jungen und sicherte ihnen zu, dass die Täter belangt würden. Er sagte öffentlich: „Es gibt keine Entschuldigung dafür, jemanden zu töten, der bereits seine Hände gehoben hat und bereit ist, aufzugeben, und auf dem Boden kniet. Das ist wirklich Mord.“ Mehrere Monate zog er die Polizei von den Anti-Drogeneinsätzen ab. Schließlich wurden die drei Polizisten wegen Mordes zu jeweils 40 Jahren Haft verurteilt.
Warnung an andere Polizisten
Eine Kehrtwende? Menschenrechtler begrüßen das Urteil, auch weil es den Eltern helfen könne, mit dem Verlust umzugehen. Duterte-Kritiker Renato Reyes sprach laut „Wall Street Journal“ von einem „sehr willkommenen Ergebnis in einer Zeit, in der Ungerechtigkeit die Regel ist“. Eine Warnung an alle anderen Polizisten solle das Urteil sein, sagte Staatsanwältin Persida Acosta laut „New York Times“. Gleichzeitig schränkt sie ein: Der Schuldspruch bedeute nicht, dass außergerichtliche Tötungen tatsächlich häufig vorkämen. Ein Einzelfall also.
Zwei weitere Fälle hatten in der Vergangenheit zu massiver Kritik an den Polizeieinsätzen geführt:
- Polizisten, die der Anti-Drogeneinheit in Manila angehörten, entführten im Januar 2017 einen koreanischen Geschäftsmann, mutmaßlich um Lösegeld zu erpressen. In einer Polizeistation erdrosselten sie den Mann, zwangen seiner Ehefrau aber trotzdem dazu, ihnen umgerechnet etwa 94.000 Euro Lösegeld zu zahlen. Gegen sie wurde ermittelt.
- Der Bürgermeister einer Kleinstadt, Rolando Espinosa, wurde ebenfalls von Polizisten getötet, als er sich wehrlos auf dem Boden einer Gefängniszelle befunden haben soll. 19 Polizisten wurden in dem Zusammenhang festgenommen, berichtete die „New York Times“. Eine Untersuchungskommission des Senats regte an, die Verdächtigen wegen Mordes anzuklagen. Stattdessen wurden sie wegen Totschlags belangt und sind inzwischen schon wieder auf Bewährung auf freiem Fuß.
Tatsächlich geht das Töten durch Polizisten im Anti-Drogenkrieg der Duterte-Regierung auch nach diesen Zwischenfällen weiter. Täglich kommen Menschen dabei ums Leben, vor allem in den Regionen um die Hauptstadt Manila herum, wie Cebu City, Laguna, Bulacan und Cavite, berichtet Carlos Conde von „Human Rights Watch“ in Manila. Dass dabei auch Kinder getötet werden, ist keine Seltenheit. Duterte kündigte zudem neue Todesschwadronen an, die sich nach mutmaßlichen Drogenkriminellen nun auch die kommunistischen Rebellen im Land vornehmen sollten.
Anwalt vom Motorrad aus erschossen
Und auch diejenigen, die sich für die Rechte der Opfer einsetzen, leben weiterhin gefährlich. Erst Anfang November wurde der Anwalt Benjamin Ramos getötet. Die Täter feuerten von einem Motorrad aus auf ihn. Erst kurz zuvor war er auf einer Verdächtigenliste der Polizei gelandet.
Ramos war Mitglied einer Gruppe von Anwälten, die sich kostenlos der Fälle von Angehörigen der Opfer des Anti-Drogenkrieges annehmen. Laut Regierung steht die Vereinigung angeblich einer kommunistischen Untergrundbewegung nahe – was die Juristen abstreiten. Ramos‘ Kollegen wollen trotz des Anschlags weitermachen.
Für die Angehörigen von Opfern der Polizeigewalt und Killerkommandos ist es auch nach dem Urteil im Fall Kian schwierig, Gerechtigkeit einzufordern. „Die Geschwindigkeit, in welcher der Fall Kian verhandelt wurde, ist eher die Ausnahme“, sagt Conde. Normalerweise würden Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte vergehen, bis ein philippinisches Gericht eine Entscheidung verkünden könne. „Unser Rechtssystem ist kaputt“, so der HRW-Vertreter. Viele befürchteten, dass das Urteil gegen Kians Mörder eher der Schadensbegrenzung dienen sollte, als tatsächlich die Immunität der Polizisten zu belangen.
Quelle: https://philippinenmagazin.de/…gerechtigkeit-fuer-einen/